Ingelheim: Zahnradbahn führte auf den Westerberg
27. April 2012 - Die Festung Mainz mit der Zitadelle ist für viele ein Begriff. Von den Festungsanlagen in Rheinhessen ist dagegen heute kaum noch etwas bekannt, obwohl sie zwischen 1908 und 1922 die Landschaft geprägt haben. Auf einer Länge von 26 Kilometern entstanden bis Mitte des Ersten Weltkriegs mehr als 300 Festungsanlagen halbkreisförmig um Mainz.
Der Historischer Verein Ingelheim e.V. hatte zu einem Vortrag zu diesem Thema eingeladen. Die beiden Referenten Dr. Rudolf Büllesbach und Georg Bertz zeigten auf, dass viele Infanteriestellungen auf Ingelheimer Gelände standen. Wanderer, die beispielsweise den ausgewiesenen Wanderweg zu der karolingischen Wasserleitung benutzten, kommen an mindestens vier Standorten vorbei.
Überraschend war für die meisten der 100 Besucherinnen und Besucher, dass in Ingelheim mitten im Ersten Weltkrieg die vordere Festungslinie der Festung Mainz verlief. Wenige Tage nach Beginn des Krieges wurde im Rahmen der Armierung der Festung Mainz mit dem Bau der Selzstellung auch in Ingelheim begonnen. Ziel war es, eine vorderste Verteidigungslinie parallel zum Mainzer Berg zu errichten und den Westerberg nach Osten mit Gräben und Festungswerken gegen französische Truppen zu schützen. Im Jahr 1914 begann der Bau einer Bahnstrecke bis zum Schloss Westerhaus. Hierfür wurde eine 2,5 km lange Trasse von der Altegasse bis hoch zum Westerhaus gelegt und dann eine Zahnradbahn gebaut. Eingesetzt wurde eine Esslingen C1/bh4t Zahnrad-Tenderlok..
Anfang 1916 musste die Lokomotive wieder abtransportiert werden. Die Straße, die noch lange als Zahnrad-Chaussee bezeichnet wurde, wurde von der Familie von Opel nach dem Krieg zu einer Privatstraße ausgebaut. Heute ist sie eine öffentliche Straße, die zum Schloss Westerhaus führt.
Viele Besucherinnen und Besucher nahme die Gelegenheit wahr, mehr zur Selzstellung in Ingelheim und auf dem Westerberg zu erfahren
Zahnradbahn auf den Westerberg
(Auszug aus dem Buch "Bollwerk Mainz")
August 1914 wurde eine Bahntrasse mit Gleisbett zum Schloss Westerhaus in Ingelheim gebaut. Die Trasse begann in Höhe der Selzbrücke, am Ende der Altengasse, und führte mit gleichmäßiger Steigung durch die Weinberge hoch zum Westerberg. An mehreren Stellen waren Sprengungen des steinigen Bodens erforderlich. Wie steil der Anstieg war, schildert Heinrich Herbert im »Ingelheimer Lesebuch«. Nach seinem Bericht »gab es zu Beginn unseres Jahrhundert weder eine Straße noch einen Feldweg. Bis dahin mussten sich die Pferde, die Zugochsen und Fahrkühe der Landwirte mit ihren Lasten die steilen Hohlwege hinaufquälen. (…) Vier bis sechs schwere Arbeitspferde mussten mitunter vor einen Wagen gespannt werden, wenn Betriebsmaterial wie Baustoffe, Düngemittel, Saatgut oder Kohlen zu transportieren waren«. Angesichts dieser Steigung war es nicht verwunderlich, dass die Militärverwaltung eine Lösung ihrer Transportaufgaben im Bau einer Zahnradbahn sah und diesen Plan auch umsetzte. Die Zahnradbahn hatte die Aufgabe, das Material für die vorgeschobene Stellung auf den Westerberg zu transportieren. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um Holz. Entlang des Westerbergs und des Gau-Algesheimer Kopfes wurden Infanterieräume aus Holz gebaut und Infanteriestellungen mit von Schützengräben angelegt, deren Reste heute noch auf dem Gau-Algesheimer Kopf zu finden sind. Beim Bau der Zahnradbahn wurden die eisernen Schwellen und der für eine solche Bahn erforderliche Spezialaufbau mit der Schwellenoberkante bündig im Sand- oder Kiesbett verlegt. Die Spurbreite der Gleise entsprach mit 1435 mm den Normalmaßen und hatte ganz bewusst nicht die bei Feldbahnen übliche Breite von 600 mm. Denn durch diese Größe der Spurweite konnten die Güterwagen, die bis vor die Altengasse mit der 1904 eröffneten staatlichen Selztalbahn transportiert wurden, ohne Umladearbeiten auf der neuen Trasse bis zum Westerberg mit einer Zahnradlokomotive weitertransportiert werden. 1915 war die 2,5 km lange Trasse fertig und die Zahnradbahn war in Betrieb genommen worden. Dies belegen Feldpostkarten aus dieser Zeit. Zu einem weiteren Ausbau dieses Abschnitts kam es nicht mehr. Im Gegenteil. Wahrscheinlich in Verbindung mit dem Baustopp für die deutschen Festungen im April 1916 wurde die Bahn wieder abtransportiert.
Foto der Zahnradbahn in Ingelheim
Das Foto (Quelle Chr. Dahm, Fotoarchiv P. Weiland Ingelheim) zeigt die Zahnradbahn in Ingelheim. Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurde eine 2,5 km lange Trasse von der Altengasse in Ober-Ingelheim bis hoch zum Schloss Westerhaus gebaut. Zwischen den Gleisen ist die für die Zahnräder der Lokomotive vorbereitete Zahnstange zu erkennen. Es handelte sich bei der Lokomotive wahrscheinlich um eine der elf Esslingen C1/bh4t Zahnrad-Tenderloks der Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn (HBE), die zwischen 1885 und 1907 im Fabriknummernkreis 2084-3419 geliefert wurden.
Ziele der Zahnradbahn - Stellungen auf dem Westerberg
Archäologische Spuren: Infanteriestellungen aus Erstem Weltkrieg rekonstruiert
Es war ein Moment, an den sich viele Besucherinnen und Besucher noch lange erinnern werden. Bei einer Veranstaltung in der Rathausscheune in Gau-Algesheim und einer anschließenden Exkursion auf dem Westerberg konnten original erhalte Infanteriestellungen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges rekonstruiert werden. Ein Krieg vor der Haustür: In Gau-Algesheim erschien das Unvorstellbare auf einmal möglich. Archäologisch ist die Rekonstruktion eine kleine Sensation. Neben dem Westerberg gibt es nur noch in Emmerich-Elten original erhaltene Stellungen aus dem Ersten Weltkrieg.
Gebaut wurden die Infanteriestellungen auf dem Westerberg oberhalb von Gau-Algesheim zwischen dem Bismarck-Turm entlang des oberen Kreuzweges bis Appenheim. Die Carl-Brilmayer-Gesellschaft hatte am 14. März 2014 zu der Veranstaltung "Das Bollwerk Mainz im 1. Weltkrieg oder Woher kommen die Löcher auf dem Westerberg?" eingeladen. Am Ende seines Vortrages konnte der Referent, Dr. Rudolf Büllesbach, die Rekonstruktionen der Infanteriestellungen vorstellen.
Grundlage hierfür waren Lidar-Scans, die das Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation Rheinland-Pfalz (LVermGeo) entlang der Höhen des Westerbergs angefertigt hatte. Die moderne Technologie (Lidar: Light detection and ranging) hilft in Gegenden, wo Festungsreste aus einem Flugzeug wegen schützender Blätterdächer unsichtbar bleiben. Lidar sendet aus der Höhe Lichtimpulse zu Boden. Die unterschiedlichen Bodenstrukturen werfen sie unterschiedlich zurück - und so wird erkennbar, was unter der Blätterdecke verborgen liegt. Mit dieser Methode ist es gelungen, oberhalb von Gau-Algesheim "die Löcher auf dem Westerberg" wieder sichtbar zu machen.
Mehr Informationen
Kriegsvorbereitungen in Ingelheim und Rheinhessen, hier
Bilder und Rekonstruktion der vorgeschobenen Stellung Westerberg, hier
Wanderweg zu den Stellungen auf dem Westerberg, hier
Informationen zur Festungsbahn, hier